Mit der Festlegung von Formteil- und Fertigungstoleranzen beeinflusst der Konstrukteur die Bauteilkosten erheblich. Das ist allgemein bekannt, dennoch wird der Einfluss der Eigenschaften und der Verarbeitungs- und Fertigungsbedingungen bei Kunststoffen häufig unterschätzt. Vielfach werden sehr enge Toleranzen gefordert, die nur mit erheblichem Aufwand und hohen Kosten im Werkzeugbau und bei der Bauteilfertigung realisierbar sind. Deshalb gilt der allgemeine Grundsatz der Tolerierung: Toleranzen sind immer nur so gering wie notwendig festzulegen, besonders für Kunststoffprodukte.
Es liegt in der Hand des Entwicklers, niedrigere Toleranzen nur dort zu fordern, wo diese zwingend für die Funktion der Bauteile notwendig sind. Dafür muss er fertigungsbedingte Maßabweichungen genauso wie anwendungsbedingte einschätzen können.
Kunststoffe unterliegen fertigungsbedingten Maßabweichungen, die zum einen vom verwendeten Werkstoff und der Formteilgeometrie und zum anderen vom Fertigungsverfahren und dem verwendeten Werkzeug abhängig sind. Gleichzeitig sind anwendungsbedingte Maßabweichungen zu beachten, die sich u.a. durch Temperatur- und Medienbelastung beim Bauteileinsatz ergeben. So beeinflusst die Verarbeitungsschwindung, die richtungs-, dicken- und geometrieabhängig ist, oder die Feuchtigkeitsaufnahme eines Werkstoffs die Toleranzen in erheblichem Maße.
Die neue Norm 16742, die im Oktober 2013 veröffentlicht wurde, ist als Ersatz für die zurückgezogene DIN 16901 konzipiert und beinhaltet eine Reihe von Änderungen. Ziel des Normenausschusses war es, sowohl die verbesserten Möglichkeiten der Hersteller als auch den von Produktentwicklern aktuell gestellten Anforderungen Rechnung zu tragen, u.a. war es Ziel eine überalterte Formstofftabelle durch ein Einstufungsverfahren abzulösen.
Als wichtige Neuerung schreibt die Norm DIN 16742 die symmetrische Tolerierung der Grenzabmaße vor. Heute wird noch vielfach aus Gewohnheit oder aus Unkenntnis mit asymmetrischen Toleranzen konstruiert. Toleranzen entstehen aber statistisch um den Mittelwert. Da aber die Werkzeuge auf Basis der CAD-Daten erstellt werden müssen, muss der Werkzeugmacher die CAD-Daten ändern, falls der Konstrukteur mit asymmetrischen Grenzabmaßen gearbeitet hat. Dieses erzeugt zusätzlichen Aufwand. Darüber hinaus entsteht durch die Änderungen des Werkzeugmachers ein zweites CAD-Modell. Dieses ist kritisch, da viele Erstmusterprüfberichte heute bereits mit Hilfe von CTs erstellt werden. Dadurch erhält man nicht nur Maße sondern Punktwolken ganzer Bauteile, was den Vergleich des kompletten gefertigten Bauteils mit dem CAD-Modell ermöglicht. Dadurch lässt sich die Qualität der Bauteile viel genauer einschätzen. Aus diesen Gründen ist ein konsistentes CAD-Modell mit symmetrischen Grenzabmaßen notwendig, welches nicht mehr für spätere Fertigungsschritte geändert werden muss.
Die DIN 16742 enthält aktuelle Tabellen erreichbarer Toleranzen. Die tatsächlich erreichbaren Toleranzen hängen jedoch auch von dem Wissen und der Ausstattung der Lieferanten ab. Hierfür führt die neue Norm ein Bewertungssystem ein, welches helfen soll, die erreichbaren Toleranzen eines Teileherstellers einzuschätzen.
DIN 16742 definiert neun Toleranzgruppen für Kunststoffprodukte, die mit TG1 bis TG 9 bezeichnet werden. Diese Toleranzgruppen werden den ISO-Grundtoleranzgraden (IT) der ISO 286-1 zugeordnet. Dadurch kann jetzt auch bei Bedarf über die ISO-Toleranzgrade kommuniziert werden. Diese Zuordnung existierte bei der zurückgezogenen DIN 16901 nicht.
Die Norm behandelt nicht die kunststoffspezifischen Problemstellen, wie Einfallstellen, Bindenähte, Fließstrukturen usw.
Bezug der DIN 16742 und einer kurzen Berichtigung der Norm:
Beuth Verlag
Toleranzanalysen
Bewertung alter Konstruktionen hinsichtlich der neuen Norm
Neue Konstruktionen nach DIN 16742
Konstruktionsänderungen zur Vermeidung enger Toleranzen
Innerhalb des Seminars wird ausführlich auf die neue Norm DIN 16742 und die Änderungen im Vergleich zur DIN 16901 eingegangen.
Eine entscheidende Basis der Toleranzfestlegung ist die Wirtschaftlichkeit. Im Rahmen des Seminars wird deshalb zusätzlich zur Vorstellung der neuen Norm auch auf die Einflussfaktoren von Toleranzen eingegangen.
So wird der Produktentwickler sensibilisiert, eine sinnvolle und wirtschaftliche Tolererierung während einer Entwicklung sorgfältig im Auge zu behalten.